"Wer hat Angst vor Virginia Woolf?": Gelungene Tourpremiere im Haus der Kultur Es funktioniert noch immer: In dem Bühnenklassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" zerfleischt sich ein in die Jahre gekommenes Ehepaar und liefert den Zuschauern einen gruseligen Schaukampf, bei dem alles gesagt wird, was richtig weh tut. So geschehen im Haus der Kultur, wo Leslie Malton und Felix Manteuffel präzise verbale Schläge abfeuerten - bis zum Showdown nach zweieinhalb Stunden. Dass das Stück von Autor Edward Albee, der im vergangenen Monat verstarb, so oft gespielt wird, verwundert nicht. Solange es Paare gibt, die sich bekriegen, bleibt das Stück wohl zeitlos, wenn auch unter sehr amerikanischen Vorzeichen. Trotz aller Dramatik hat "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" auch viele komische Momente. Vor allem im ersten • Teil, wenn sich das Ehepaar so richtig warm läuft und säuft. Der Alkohol fließt in rauen Mengen. Der Geschichtsdozent George und seine Frau Martha, die Tochter des College-Präsidenten, kommen weit nach Mitternacht gut angeschickert von einem Collegefest nach Hause. Martha hat ihrem Vater zuliebe Nick und Honey auf einen Absacker eingeladen. Nick, gespielt von Urs Stämpfli, ist der neue Biologie-Dozent, aufstrebendes Nachwuchstalent am College und der Gegenentwurf zu George: jung, dynamisch, sportlich. An seiner Seite Judith Hoersch in der Rolle der blonden, überaus naiven Honey, die nicht einmal merkt, dass Martha ihren Mann verführt. Das junge Ehepaar muss herhalten, weil Martha und George ihre Gefechte gerne vor Publikum austragen. Schließlich haben sie den lustvollen Kampf gegeneinander perfektioniert, demütigen sich, sind sarkastisch, provozieren und geben vernichtende, ordinäre sowie ausgefeilte Bösartigkeiten von sich. Sie benutzt die ahnungslosen Gäste, um Georg vor ihren Augen als Versager hinzustellen. Das Temperament dieser Gehässigkeiten zieht unweigerlich Nick und Honey mit in den Sog und bald fällt auch die scheinbar perfekte Ehefassade der beiden auseinander. Der selbstherrliche George lässt Nick seine intellektuelle Überlegenheit spüren, entlockt ihm Geständnisse, die er gegen ihn einsetzt. Jeder hätte diese Szenerie sofort verlassen, nicht so Nick. Schließlich will er Karriere machen. Und so kommen unschöne Wahrheiten ans Tageslicht: Nick hat seine "Honey" geheiratet, weil sie Geld hat und weil sie "scheinschwanger" war. Martha, wunderbar in all ihren Facetten gespielt von Leslie Malton, ist attraktiv, temperamentvoll, gleichzeitig vulgär und hemmungslos. George mit seinem wildem, weißen Haarschopf, wirkt erst einmal recht gemütlich, gibt sich ignorant und schluckt die Bosheiten. Felix von Manteuffel spielt den Georg lauernd, immer darauf bedacht, eine boshafte Pointe zurückzuschießen. Man ahnt die Rache. Das Bühnenbild und die Ausstattung sind funktional: In der Mitte thront die gut gefüllte Hausbar mit Kühler, davor steht die Lounge, um die die Akteure taumeln. Der Lesesessel steht für die Bibliothek. Im zweiten Akt kommt der traurige Showdown, der auflöst, warum Martha sich in den Alkohol flüchtet. Und am Ende gibt es nur Verlierer. Nick, durchschaubarer Karrierist, der sich im Suff auf Marthas Avancen eingelassen hat, schleicht sich mit seiner Frau von der Bühne. Martha und George hocken erschöpft am Bühnenrand. Unter dem Strich eine gelungene Premiere der Kempf Theatergastspiele, die mit dem Auftritt im Haus der Kultur in Waldkraiburg am Donnerstag ihre Tournee eröffneten. Von Katharina Vähning |
BAD ORB- (bis). Ein knapp dreistündiges verbales Psychodrama erlebten über 800 Zuschauer in der voll besetzten Konzerthalle. Mit dem Schauspiel "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" aus der Feder des im September dieses Jahres verstorbenen US-amerikanischen Dramatikers Edward Albee befinden sich die "Kempf Theaterspiele" aus Grünwald bei München vom 14. Oktober bis zum 30. November auf Tournee und gastierten am Freitagabend in der Kurstadt. Der Bühnenklassiker des 20. Jahrhunderts, uraufgeführt im Oktober 1962 am Billy Rose Theater in New York und bekannt geworden durch die Verfilmung mit Liz Taylor und Richard Burton, ist von Alissa und Martin Walser ins Deutsche übersetzt worden. In dem Stück in drei Akten unter der Regie von Claudia Prietzel und Peter Henning erweist sich das vierköpfige Schauspielensemble als brillante Besetzung. Vor allem Leslie Malton als egozentrische, überdrehte und verbitterte Martha begeisterte das Publikum. Sie und ihr Mann George (Felix von Manteuffel) sind seit 20 Jahren verheiratet, wie übrigens auch im richtigen Leben. Als sie nachts von einer Feier nach Hause kommen, hat Martha noch ein junges Paar eingeladen: den sportlichen, ehrgeizigen Biologieprofessor Nick und dessen Ehefrau, die von ihm zärtlich "Honey" genannt wird. Beide sind sehr angepasst und ein wenig naiv. Die Charaktere wurden von Urs Stämpfli und Judith Hoersch glänzend dargestellt. Zwischen Martha, der Tochter des College-Präsidenten und dem zynischen Geschichtsprofessor George entwickelt sich unter zunehmendem Alkoholkonsum ein heftiger Beziehungskrieg. "Du bist die sumpfigste Stelle in der Abteilung Geschichte", mit solchen Worten demütigt Martha ihren Mann und versäumt keine Gelegenheit, ihn lächerlich zu machen. Mehr und mehr verlassen die Gäste die "Zuschauertribüne" und werden mehr und mehr in den Konflikt hineingezogen. George entlarvt den jungen Nick als Versager, weil dieser die attraktive "Honey" nur wegen einer eingebildeten Schwangerschaft geheiratet hat. Bald läuft alles aus dem Ruder. Martha flirtet mit dem Gast und verschwindet mit ihm in der Küche. Honey trinkt einen Brandy nach dem anderen, bis sie Wahnvorstellungen bekommt. Die Situation nutzt George aus, um sich an seiner Gattin zu rächen. Sie hat als Ausgleich zu ihrem langweiligen und trostlosen Alltag in ihrer Phantasie einen liebenswerten und erfolgreichen Sohn erschaffen, der am nächsten Tag 21 Jahre alt geworden wäre. Ihr gekränkter Ehemann beschließt, diese Illusion zu zerstören und erklärt ihn für tot. Bei Honey weicht die Angst vor Schwangerschaft und Geburt dem Wunsch nach einem Kind. Und Martha und George liegen sich erlöst in den Armen und summen das Lied "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", erkennend, dass sie trotz allem einander brauchen. Zwar erforderten die von Manteuffel gesprochenen Texte etwas mehr Konzentration, doch insgesamt lieferte das Ensemble eine grandiose schauspielerische Leistung. Die Zuschauer honorierten diese am Ende mit anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen. Spontanen Beifall gab es auch, nachdem die Darsteller eine Szene kurz unterbrachen, als sich abzeichnete, dass eine Person im Publikum ärztliche Hilfe benötigte. Doch die Resonanz fiel durchaus unterschiedlich aus, denn es gab auch Zuschauer, denen die Kost etwas zu anspruchsvoll war. Gelnhäuser Tagblatt, 22.10.2016 |