„Ein Volksfeind“ von Erler nach Ibsen bekommt als feines Stück Theaterarbeit viel Beifall. Fellbach. Eine klare Sprache, ein ansprechendes Bühnenbild und ein ausgezeichnetes Ensemble – an der Aufführung des „Volksfeinds“ gab es nichts zu kritteln. Rainer Erler hat dem 133 Jahre alten Drama des Norwegers Henrik Ibsen ein Update verpasst, die Brisanz extrahiert und die Spannung konzentriert. So wurde in nicht mal zwei Stunden inklusive Pause ein gesellschaftliches Thema unterhaltsam geschildert – und trotz aller Problematik gab es Chancen für ein paar Schmunzler. Geld gegen Gesundheit, Gier gegen Gesetze, Gewissenloser gegen Gutmensch – was sich so plakativ liest, ist in der Realität leider keine so einfache Schwarz-Weiß-Angelegenheit. Und eigentlich möchte auch keiner vor der Entscheidung stehen, die der Kurarzt Stockmann (Rufus Beck, leicht atemlos-näselnd) in „Ein Volksfeind“ treffen muss. Beim illegalen Plan A (verschweigen) sterben Patienten, beim rechtschaffenen Plan B (aufdecken) ist die Stadt tot. Wie würden Sie entscheiden? Leider gibt es auch ein Jahrhundert später keine saubere Lösung für dieses Dilemma. Die Schlagwörter Arbeitsplätze und Existenzen in Gefahr haben immer schon gern jedes Gegenargument im Keim erstickt. Die Bedrohlichkeit einer amorphen Bevölkerungsmasse ist zwar spür-, aber nicht direkt greifbar. Und wenn dann zusätzlich politische Süppchen gekocht werden, in die auch noch die eigenen Leute spucken, dann bleiben Ehre, Integrität und Umweltschutz auf der Strecke – nicht nur auf der Theaterbühne. Nicht auf der Strecke geblieben, sondern die ganze Aufführung über gefesselt waren die Besucher dieses feinen und hochaktuellen Theaterstücks der S-Miete des Kulturamts am Freitagabend in der Schwabenlandhalle. Das Publikum schenkte dem Sextett auf der Bühne – außer Beck noch Christiane Mudra als Kathrin Stockmann, Michael Rast als Peter Stockmann, Manuel Klein als Hovstad, Ralf Weikinger als Morten Kiel und Wolfgang Grindemann als Björnson – größte Aufmerksamkeit und belohnten die saubere Arbeit mit üppigem Applaus. Auch wenn die Zuschauer ohne Happy End in die laue Nacht entlassen wurden. Aber vielleicht kam es ja mancherorts noch zu einem Meinungsaustausch über den spannenden Inhalt. Und was kann ein größeres Lob für ein Theaterstück sein als Nachhaltigkeit! Von Gabriele Lindenberg – Fellbacher Zeitung, 09.11.2015 |
Korruptionsdrama in Delmenhorst Delmenhorst. Ein aufrechter Arzt gerät in der Ibsen-Adaption „Ein Volksfeind“ in einen Strudel aus Korruption und Gier. Schauspielstar Rufus Beck spielte im Kleinen Haus die Hauptrolle. Da sage noch einer, Theaterautoren aus dem vorletzten Jahrhundert haben dem Publikum unserer Tage nur wenig zu sagen. Als hochaktuell hat sich das Thema des Stücks „Ein Volksfeind“ erwiesen, das die Kempf Theatergastspiele am Montagabend im Kleinen Haus aufgeführt haben: Gewinnsucht, Korruption, Vertuschung, politische Intrige, Umweltsünden, Einflussnahme auf die freie Presse – all diese gesellschaftlichen Missstände bilden die Grundlage für die dramatische Zuspitzung in Rainer Erlers Neufassung des Stücks „Ein Volksfeind“ von Henrik Ibsen (1828-1906). Ibsens Umweltthriller ist Auseinandersetzung um Lüge und Machtmissbrauch Vordergründig eine Art Vorläufer des Umweltthrillers, geht es in Ibsens gesellschaftskritischem Drama aus dem Jahr 1882 um eine viel grundsätzlichere Auseinandersetzung um Wahrheit und Lüge, um Machtmissbrauch und öffentliche Verantwortung. Das alles gespiegelt in den aufbrechenden Konflikten zwischen den Akteuren und im aussichtslosen Kampf des Protagonisten, der Wahrheit im Dickicht der Gewinninteressen zum Durchbruch zu verhelfen. Die hitzigen Debatten um Macht und Moral entfachen sich an einem Umweltskandal, mit dessen Inszenierung sich der Norweger Henrik Ibsen vor mehr als 100 Jahren als Visionär erwies. Das Wasser der Heilquelle, die dem kleinen Badeort Karlskrona zu Wohlstand verholfen hat, stellt sich als verseucht heraus. Doch die Mitglieder der gesellschaftlichen Führungsschicht des Ortes, vom Kurdirektor über den Bauunternehmer bis zum Zeitungsverleger, haben buchstäblich zu viele Aktien im sprudelnden Quell des Profits, als dass sie sich ein Eingeständnis des Problems leisten könnten. Schauspieler agieren auf geneigter Ebene In die Rolle des gegen alle Widerstände ankämpfenden, nur seinem Gewissen unterworfenen und am Ende resignierenden Badearztes Thomas Stockmann schlüpfte mit Rufus Beck einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Der mit seiner Rolle als „Waltraud“ im Leinwandhit „Der bewegte Mann“ berühmt gewordene Mime überraschte über weite Strecken mit einer eher zurückgenommenen Herangehensweise an seine Rolle. Vor allem war es eine ansprechende Ensembleleistung, die die rund 300 Zuschauer im Kleinen Haus mit kräftigem Beifall bedachten. Bemerkenswert war die Bühnengestaltung, denn die Schauspieler agierten auf einer zum Publikum hin geneigten Ebene. Ein inszenatorischer Kniff, der eine physische Herausforderung für die Schauspieler bedeutete und symbolisch auf die moralische Abschüssigkeit einer durch die Profitgier korrumpierten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung hindeutete. Von Dirk Hamm – Delmenhorster Kreisblatt, 03.11.2015 |
„Ein Volksfeind“ in Schüttorf Ein exzellentes Ensemble sahen die Besucher des Theaters der Obergrafschaft am Sonnabend in Schüttorf. Das Schauspiel „Ein Volksfeind“ spielt zwar im 19. Jahrhundert, kann aber auch auf die heutige Zeit bezogen werden. Schüttorf. Nein, ein Leisetreter ist der heute 82-jährige Rainer Erler nicht. In seiner aktuellen Schaffensphase hat sich der vor allem als Fernseh-Regisseur gegenwartskritischer Filme („Fleisch“, „Plutonium“) bekannt gewordene Autor dem Schauspiel zugewandt. In seiner Neufassung von Ibsens Drama „Ein Volksfeind“ hat er zwar vom Originaltext kaum etwas übriggelassen, aber Thema, Handlung und Konfliktsituation aus dem Jahr 1888 auf bestürzende Weise für das 21. Jahrhundert aktualisiert. s Das Spiel auf der Bühne – schiefe Ebene, Kurbad-Trinkbrunnen, Sessel – zog das Publikum am Sonnabend im Schüttorfer Theater der Obergrafschaft sofort in seinen Bann. Eine exzellente Ensembleleistung boten „Zugpferd“ Rufus Beck (Badearzt Dr. Thomas Stockmann), Christiane Mudra (seine Frau), Michael Rast (Landrat und Kurdirektor Peter Stockmann), Manuel Klein (Redakteur Hovstad), Ralf Weikinger (Gerbermeister Morten Kiel; Schwiegervater des Badearztes) und Wolfgang Grindemann (Druckereibesitzer Björnson) unter der Regie von Christoph Brück. Ort der Handlung ist das norwegische Städtchen Karlskrona. Zahlungskräftige Patienten strömen in das neu entstandene Kurbad, das die Bürger durch den Kauf von Aktien finanziert haben. Landrat Peter Stockmann steht vor der Wiederwahl (Plakatständer im Foyer hatten die Besucher darauf eingestimmt). Alles wäre gut, befiele nicht eine besorgniserregende Typhus- und Gastritis-Epidemie die Kurgäste. Der Badearzt nimmt Wasserproben – das niederschmetternde Ergebnis: Aus der Quelle sprudelt kein Heilwasser, sondern eine gesundheitsgefährdende Brühe. Die Mikroben stammen aus der oberhalb der Quelle arbeitenden Gerberei. Dr. Stockmann will an die Öffentlichkeit gehen. Der Badearzt ist überzeugt, dass sofort Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden. Das würde bedeuten: enorme Ausgaben, jahrelange Schließung des Kurbetriebs, Schädigung des Gastgewerbes, Vernichtung des breit gestreuten Aktienkapitals, das Ende des alteingesessenen Gerbereibetriebs. Und Peter Stockmann kann sich seine Wiederwahl abschminken. Das ist mit dem Landrat und Kurdirektor nicht zu machen. In den messerscharfen Dialogen, mit denen Rainer Erler den Konflikt in eine Eskalationsspirale treibt, zeigen sich die Schauspieler auf der Höhe ihrer Kunst. Die Brüder (machtbesessen und skrupellos der eine, bis zur Selbstverleugnung auf der Wahrheit und seinem ärztlichen Ethos beharrend der andere) werden zu Feinden. Der Schwiegervater (Gerbereibesitzer und Kurbad-Aktionär) droht mit einer Schadenersatz-Klage. Die „freie, liberale Presse“ knickt ein. Aus dem Retter der vom Typhus Bedrohten wird ein Verfemter, ein Volksfeind. Und dann noch eine geradezu teuflische Versuchung: Schwiegervater Kiel hat ein großes Paket der Aktien aufgekauft, die durch das Bekanntwerden der Verseuchung für ihre Inhaber entwertet worden sind. Die Anteilsscheine vermacht er Tochter und Schwiegersohn. Wenn das Bad wieder floriert, werden sie Gold wert sein. Aber: Der Badearzt erscheint plötzlich im Lichte eines skrupellosen Spekulanten, der die ganze Verseuchungsgeschichte in die Welt gesetzt hat, um sich zu bereichern. Rainer Erler zeigt keinen Ausweg aus dem Teufelskreis. In seinen (von Rufus Beck selbst stammenden) Monologen beschreibt Dr. Stockmann die verhängnisvolle Kette: Kein Geld, keine Sanierung, keine Einnahmen, kein Aktiengewinn, kein Geld. Zum Schluss sitzt der Ratlose am Bühnenrand und gibt sich der fatalistisch-schlitzohrigen Philosophie seines bayerischen Spezis Sepp hin: „Wann mers glabt, dann wird des scho.“ Der Applaus des Publikums, das in den Pausengesprächen auch darüber sinniert, ob Karlskrona vielleicht gar nicht so fern liegt, klingt herzlich mit einem Hauch von Nachdenklichkeit. Von Andreas Krzok – Grafschafter Nachrichten, 05.10.2015 |
"Ein Volksfeind" und ein Prolog Fulda. Zwei Premieren an einem Abend: Bei der Eröffnung der Fuldaer Theatersaison am Donnerstag überzeugt die Tournee-Erstaufführung des Umweltkrimis "Ein Volksfeind". Den Prolog bestreitet Fuldas neuer Oberbürgermeister, der zum Spielzeitstart erstmals das Publikum begrüßt. Schon einmal begann eine Spielzeit mit dem "Volksfeind": Allerdings wurde im Jahr 1973 das Original von Henrik Ibsen aufgeführt. Diesmal stellt das Ensemble der Kempf Theatergastspiele den "Volksfeind" von Rainer Erler nach der Vorlage von Ibsen zur Diskussion - das die beklemmende Aktualität des Originals auf seine Weise bestätigt. Auf der Bühne werden zwei Top-Themen unserer Zeit verhandelt: ein Umweltskandal und politische Korruption. Erler, bekannt geworden mit Filmen wie "Fleisch" oder "Plutonium", die brisante gesellschaftliche Probleme thematisieren, hat seinen "Volksfeind" in einem Interview so beschrieben: "Von Ibsen die Grundidee, die Fabel und die perfekte dramatische Konstruktion. Von Erler das Stück, die Sprache von heute, der Konflikt von heute und die Figuren von heute - in der Maskierung der Silvesterwoche 1899." Erler kommt in seinem 90-Minuten-Drama mit sechs Personen aus und verzichtet auf Ibsens Volksversammlung. s Der Inhalt in wenigen Sätzen: Badearzt Stockmann findet heraus, dass die Quellen seines Heilbades verseucht sind. Die Kurbad-Aktiengesellschaft vertuscht den Skandal und feuert den Mediziner. Die Macht der Wahrheit muss sich der Wahrheit der Macht beugen. Der Idealist unterliegt einer "korrupten Clique" und steht am Ende vor einer teuflischen Entscheidung: Soll er ein finanzielles Angebot ablehnen, um seine Glaubwürdigkeit zu retten, oder soll er es annehmen, um mit dem Geld die Misere zu beseitigen? Thomas Stockmann, den Rufus Beck konzentriert, leidenschaftlich und sehr glaubwürdig spielt, lässt offen, was der fanatische Wahrheitssucher tun wird. Becks Deutung entspricht seiner Beschreibung dieser Rolle: Sein Stockmann ist einerseits ein sympathischer, charismatischer, energiegeladener Mensch, andererseits ein verbohrter Fanatiker und egozentrischer Querulant. Stockmanns Monologe hat Beck verfasst und mit aktuellen Zitaten ausgestattet. Hochkarätiges Ensemble Um den vorzüglichen Beck schart sich ein hochkarätiges Ensemble mit Christiane Mudra als pragmatisch-emanzipierte Ehefrau Kathrin; Michael Rast als Stockmanns Bruder Peter, der Prototyp eines mies-gnadenlosen Polit-Karrieristen, nach dessen Verständnis sich der Einzelne dem Interesse der Mehrheit unterordnen muss; Manuel Klein als Redakteur Hovstad, der die Weltrevolution predigt, aber letztlich mit den Wölfen heult; Wolfgang Grindemann als aalglatt-schmieriger Druckereibesitzer Björnson, ein zynisch-verschlagener Ränkeschmied; sowie schließlich Ralf Weikinger als robust-uneinsichtiger Gerbermeister Morten Kiel, dessen Betrieb die Quellen verschmutzt, und der sich die durch die drohende Aufdeckung der Katastrophe um sein Lebenswerk gebracht fühlt. Der erbitterte Kampf für die Wahrheit und der Bruderkrieg bei den Stockmanns ereignet sich in einem minimalistischen Bühnenbild (Claudia Weinhart) auf einer großen schrägen Fläche. Der versierte Christoph Brück, verantwortlich für die hochspannende, wortkonzentrierte, mitunter sarkastisch-humorige und in ihrer Dramatik nie nachlassenden Inszenierung, zeigt Menschen, die "im tiefen Morast waten, bis sie darin steckenbleiben". Das Publikum verfolgt die packende Deutung eines Stücks, in dem "der Witz der Lüge auf den schleichenden Gang der Wahrheit trifft" (Brück) mit hoher Aufmerksamkeit. Der Schlussbeifall steigert sich zu rhythmischen Ovationen, über die sich auch der Regisseur und die Ausstatterin freuen. Alle werden von Theaterleiterin Angelika Lieder mit Blumensträußen bedacht. Von Christoph A. Brandner - Fuldaer Zeitung, 27.09.2015 |