Theatergastspiele Kempf GmbH

DIE MARQUISE VON O...
Schauspiel nach der Novelle von Heinrich von Kleist

Dramatisiert von Silvia Armbruster

2. Tournee:
Premiere am 27. September 2014 in Schweinfurt
27. September bis 31. Oktober 2014

3. Tournee:
Premiere am 5. April 2016 in Gifhorn
5. bis 30. April 2016
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Blümchentapete und Wurfzelt
Sprühend vor Witz eröffnen die Theatergastspiele Kempf die Theatersaison mit der Adaption der Novelle
"Die Marquise von O..."

Eine Novelle als abendfüllendes Theaterstück? Noch dazu die Marquise von O…, ein Stoff, der Anfang des 19. Jahrhunderts bei seinem Erscheinen drastische Ablehnung und Entrüstung hervorgerufen hat. Der mehrfach ausgezeichneten Regisseurin Silvia Armbruster gelang in ihrer Adaption eine sehenswert tiefgründige, zeitgemäße und unterhaltsame Interpretation. Eine Ausdeutung, über die man noch lange diskutieren und lachen kann, die den Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Lockerheit meisterhaft schafft.
 
Was steckt nicht alles drin in dieser Geschichte! Da werden familiäre Bindungsmuster gezeichnet, die zwischen einem ausgewachsenen Mutter-Tochter-Konflikt und der Rolle der Lieblingstochter des Vaters reichen. Es gibt auf der Metaebene eine Gesellschaft im Krieg und schließlich ist da noch die Rolle der Frau in der Ausprägung einer ledigen Mutter als Unperson. Diese so verschiedenen Themen werden bei Silvia Armbruster weniger dramatisiert im Sinne von verkompliziert als vielmehr ins Leben umgesetzt. Sie spielt im wahrsten Sinn des Wortes mit den durchaus ernstzunehmenden Topoi. Dazwischen stellen kurze Originalpassagen aus Kleists Novelle die Klammer zwischen Vorlage und Spiel her. Die Frage nach dem ursprünglichen Text, nach den Auslassungen und Hinzufügungen stellt sich bei dieser Produktion überhaupt nicht. Tempo, Witz und Spielfreude transportieren die Themata, Nachdenken und Nachsinnen kommen gleichwohl nicht zu kurz.
 
Von Anfang an weiß der Zuschauer mehr als die Figuren und doch fiebert er bis zum Ende mit, wie die Geschichte ausgehen wird. So lebensnah und liebenswert zeichnet die Regie die Charaktere. Eine junge, starke und eigenwillige Frau, die ihren Weg gegen alle gesellschaftliche Konvention und familiäre Beeinflussungsversuche geht und damit am Ende reüssiert. Lisa Wildmann gibt der Figur der Marquise singend, trotzig und mit tiefer Liebe Gesicht und Kontur, Herz und Seele.
 
Frau und Herr von G. besitzen nicht weniger Ausdruck, bilden ein Paar von bewusster Elternschaft, umfangen ihr Kind in großer Zugewandtheit und sind doch in ihrer Zeit verhaftet und verstoßen ihr Kind. Ursula Berlinghof ist eine pragmatische Mutter mit dem Herz am rechten Fleck, Christian Kaiser der oft etwas schusselige und läppische Vater. Sebastian Strehler fliegen die Sympathien von allen Seiten zu, noch ohne es zu ahnen ist er gleichzeitig der ehrlich Liebende und formidable Schwiegersohn. Seine darstellerische Vielseitigkeit kann er gleich noch als zupackender Frauenarzt und mitfühlende Hebamme beweisen – köstlich! Der Weg, den die Marquise von der behüteten Witwe zur selbstbestimmten Frau zurücklegt, findet auf geniale Weise in der Blümchentapete im heimischen Schloss und dem Wurfzelt in freier Natur ihre Entsprechung. Alles in Allem war es ein schwungvoller und beherzter Auftakt in die neue Theatersaison.
 
Von Erna Rauscher – Main Post, 29.09.2014
 
   

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Eine Dame emanzipiert sich
Heinrich von Kleists »Die Marquise von O…« begeistert als Bühnenfassung in der Aula

Versmold. Silvia Armbrusters Bühnenadaption von Heinrich von Kleists Novelle »Die Marquise von O…« hat es am Mittwoch mit vier glänzend aufgelegten Akteuren sowie einer Kombination aus dramatischen Elementen und einem ordentlichen Schuss Komik einen faszinierend-heiteren Blick auf die bürgerliche Fassade geworfen. Insbesondere auf die Rolle der Frau im Bürgertum des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
 
Vor ausverkauften Rängen entwickelt sich in der Versmolder Hauptschulaula vor dramatischen Hintergrund eine bisweilen absurd-amüsante Suche nach Wahrheit und Liebe, die gekonnt die Vergangenheit mit Elementen der Gegenwart verknüpft. Die verwitwete Julietta, die Marquise von O…, eine Dame von vortrefflichem Ruf, lebt mit ihren zwei Kindern und ihren Eltern gemeinsam in Italien und wird urplötzlich in die Kriegswirren hineingezogen. Sie wird Opfer einer Vergewaltigung, kann sich aber an nichts mehr erinnern. Diese Amnesie führt soweit, dass sie sich mit ihren Eltern überwirft, die ihr nicht glauben wollen, dass sie an der Schwangerschaft keine Mitschuld trägt. Sie verlässt mit ihren Kindern das Elternhaus, sucht über eine skandalöse Zeitungsanzeige nach dem Kindsvater, einem russischen Grafen, dem sie während des Krieges ihr Leben verdankte und der ihr immer wie ein »Engel« vorgekommen war. Schließlich söhnt sie sich mit ihren Eltern aus, die die Unschuld ihrer Tochter erkennen, und ehelicht den Grafen.
 
Silvia Armbruster richtet in ihrer Bühnenfassung ihren Fokus auf eine Julietta, die sich vom behüteten Elternhaus mit seiner heimelnden Beschaulichkeit – es wird regelmäßig Schubert musiziert – und von der Frauenrolle emanzipiert. Sie bricht mit den bürgerlichen Regeln, für die ihre Eltern stehen, entfernt sich aus der Gesellschaft. indem sie mit ihren Kindern aufs Land hinauszieht. Da sitzt sie in ihrem Campingzelt., tauscht ihr schwarzes eng anliegendes Haute-Couture-Kleid gegen ein buntes wallendes Flower Power-Outfit und verschenkt sinnierend im Publikum Äpfel. Lisa Wildmann, leicht erkältet, lotet die Entwicklung der Marquise mit sehr viel Feingespür aus, überzeugt mit dem Bewusstsein für die verletzliche Seite ihrer Protagonistin. Anfänglich die gut erzogene Tochter wird sie im zweiten Teil zu einer selbstbewussten Frau, die ihren Weg suchen und gehen wird. Auch wenn sie sich dem Wunsch der Eltern der Heirat mit dem Grafen beugt, lieben und als Partner anerkennen wird sie ihn erst nach Jahren. Ursula Berlinghof und Christian Kaiser loten alle Facetten eines Paares aus, das sich in erster Linie als Eltern versteht und auch bei allem Ungemach wie Krieg und unehelichem Kind nach außen hin die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten versucht. Dabei bewältigen sie mühelos den schmalen Grat zwischen Tragik und Komödie. Neben ihnen wirbelt Sebastian Strehler als russischer Graf gekonnt mit einer ungestümen Kraft und Leidenschaft durch die Szenerie und bringt mit kraftstrotzenden und virtuosen Einlagen auf dem Schlagzeug die Aula sprichwörtlich zum Beben. Mit wahrlich hinreißenden Einfällen, die zu Recht amüsierten und das Kleist-Stück entschlackten, machte diese »Marquise von O…« dem Publikum sichtlich Spaß bis zum Ende.
 
Von Nikolas Müller – Westfalen-Blatt, 08.11.2013
 
   

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Ideenreiches Sittengemälde
»Die Marquise von O…«: Theatergastspiele Kempf treffen mit moderner Inszenierung Nerv der Zuschauer

Versmold. Zunächst herrscht pure Harmonie: Die Familie musiziert. Tochter Julietta singt, die Mutter spielt Flöte und der Vater Cello. Dann kracht ein panzerartiges Ungetüm in das etwas spießige Wohnzimmer. Begleitet vom lauten Spiel eines Schlagzeugers reißt der Krieg ein riesiges Loch in die schicke gold-silber glänzende Tapetenwand der einst heilen Bürgeridylle. Auf der Versmolder Bühne bleibt dieser symbolische Riss in der Gesellschaft am Mittwochabend Teil des Bühnenbildes. Gezeigt wurde Heinrich von Kleists (1777-1811) Novelle »Die Marquise von O…«.
 
Der Krieg bricht unbarmherzig in das ruhige Leben von Julietta, auch Marquise von O… genannt, ein. Die ehrbare Witwe wird fast von Soldaten vergewaltigt. Ein russischer Leutnant erscheint wie ein Engel zu ihrer Rettung. Doch es stellt sich heraus, der Beschützer hatte der Ohnmächtigen danach selbst Gewalt angetan; davon bekommt sie jedoch nichts mit. Die nun eintretende Schwangerschaft kollidiert mit den bürgerlichen Moralvorstellungen der damaligen napoleonischen Zeit. Die Marquise von O… weiß nicht aus noch ein. Sie hat ungewollt gegen den strengen Sittenkodex verstoßen, und die Schmach der Eltern ist so groß, dass sie die Tochter verstoßen. Auf ungewöhnlichem Wege, nämlich per Zeitungsannonce, sucht sie jetzt den Vater ihres Kindes. Der Graf gesteht schließlich sein Vergehen, Julietta verzeiht und am Ende gibt es, ganz selten bei Kleist, ein Happyend. Beide heiraten und das Biedermeier-Idyll ist wieder vollständig hergestellt. Die leicht überforderten Großeltern winken zum Abschied mit einem Dutzend Enkel im Arm und das glückliche Ehepaar wiegt sich im Einklang mit dem Rock Roll der Gesellschaft.
 
Wie sich in der Pause zeigt, ist das, was die Besucher an diesem Theaterabend sehen, für die meisten eine Überraschung. Und zwar eine positive. Das Stück, inszeniert von den Theatergastspielen Kempf, kommt ideen-, temporeich und kreativ daher. Viele Zuschauer kennen das Werk und haben im Vorfeld mit einer düsteren Novelle im klassischen Sinne gerechnet. Aber es gibt jede Menge zu lachen. Das jedoch ohne Klamauk oder gar Albernheiten. Jeder der vier Schauspieler ist durch die Bank überzeugend und zeigt große Schauspielkunst. So wie Lisa Wildmann. Die Hauptdarstellerin füllt ihre Rolle als Marquise perfekt mit Leben. So echt, dass das Publikum gar mit ihr leidet. Oder Ursula Berlinghof, die die Mutter der Marquise hervorragend verkörpert. Man nimmt es ihr einfach ab, wenn sie elegant-verwirrt zusammenbricht und weinend mit dem Schicksal hadert. Ebenso brillant ihr Gatte, ganz großartig gespielt von Christian Kaiser. Der kann in seiner Rolle als Familienoberhaupt in einer Zeit der verdrängten Sexualität nicht aus seiner Haut. Er ist eben ein Teil der damaligen vermieften Gesellschaft, wo eine Witwe am Heiratsmarkt nichts mehr zu suchen hat. Da passt auch der langhaarige Graf in Gestalt von Sebastian Strehler nicht rein.
 
Alles in allem sorgten das intensive Spiel des Ensembles und das stimmige Bühnenbild für einen kurzweiligen Abend.
 
Von Marion Bulla – Haller Kreisblatt, 08.11.2013
 
   

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Wie eine „bewusstlose“ Empfängnis eine starke Frau gebiert
Vier wunderbare Darsteller und eine pfiffige Inszenierung entfalten im Immenstädter Hofgarten Heinrich von Kleists Novelle „Die Marquise von O…“ zu einer Komödie mit Tiefgang

Immenstadt. Wer sich je mit Begeis¬terung durch die Novellen von Heinrich von Kleist schmökerte und fasziniert war von deren thematischer Doppelbödigkeit und sprachlicher Virtuosität, der sah gespannt dem Spielzeit-Auftakt im Immenstädter Hofgarten entgegen. „Die Marquise von O…“ stand auf dem Programm. Diese Novelle mit ihren widersprüchlichen Erzählsträngen als Theaterstück – geht das? Wie grandios so etwas gelingen kann, bewies eine für die Theatergastspiele Kempf erarbeitete Bühnenfassung von Silvia Armbruster, die jetzt unter ihrer Regie über die Hofgarten-Bühne quirlte.
 
Es ist eine Geschichte von Krieg und Irritation, von hierarchischen Familien- und Gesellschaftsstrukturen und dem Versuch einer Frau, sich selbst zu finden. – Und es ist die Geschichte einer Liebe. Kleist hat sein Trauma der Napoleonischen Kriege nach Italien transferiert. Dort lebt die ehrbare verwitwete Marquise von O… (Lisa Wildmann) mit ihren beiden Kindern in harmonischer Gefügigkeit bei den Eltern (Ursula Berlinghof und Christian Kaiser). Das gemeinsame Musizieren ist geheiligtes Ritual – und bewies gleich zu Beginn die Vielseitigkeit der Akteure. Der Krieg lässt diese Idylle abrupt ins Chaos versinken (und die Ohren der Zuschauer im infernalischen Trom¬melwirbel dröhnen).
 
Die Welt gerät aus den Fugen und die Marquise in die Fänge brutaler machtbesessener Russen. Bevor die¬se ihr Opfer vergewaltigen, naht in Gestalt eines russischen Grafen und Leutnants (Sebastian Strehler) der rettende „Engel“. Er bringt die ohnmächtige Marquise in ein siche¬res Gemach. Womit eine zauberhaf¬te – nurmehr in sanfter tänzerischer Anmut von den beiden hinreißenden Protagonisten angedeutete Lie¬be beginnt. Alles nur geträumt? Doch die Marquise wird von rät¬selhafter Unpässlichkeit heimge¬sucht. Als ob sie in „gesegneten Umständen“ sei, erklärt Sie scher¬zend (da kein Mann sie berührte) den besorgten Eltern. Als sich der – eigentlich unmögliche – „Umstand“ bestätigte (wobei Sebastian Strehler als Arzt und Hebamme zum Ergöt¬zen der Zuschauer erneut in Aktion trat) nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die Marquise wird von ihren Eltern verbannt, das einst innige Fa¬milienband den rigiden Moralvor¬stellungen geopfert.
 
Statt zu verzagen, entdeckt die Marquise sich selbst und emanzi¬piert sich von elterlichen und gesell¬schaftlichen Zwängen. In einem Zeitungsartikel „outet“ sie sich und fahndet „als Dame von vortreffli¬chem Ruf, die ohne ihr Wissen in andere Umstände geraten ist,“ nach dem Vater ihres Kindes, den sie „aus Familienrücksichten“ ent¬schlossen wäre zu heiraten. Dass ausgerechnet der Graf, den sie zum „Engel“ stilisiert hatte und der zu¬vor in einem glühenden Liebesap¬pell um ihre Hand anhielt, dieser „Teufel“ war, ist ihr unfassbar. Sie willigt zwar in die Heirat ein, be¬steht jedoch auf strikte Trennung von Tisch und Bett.
 
Die vier unisono brillant agierenden Protagonisten feilten die Melange widersprüchlicher Gefühle zu eindringlichen Charakter-Studien aus. Zum happy-endlichen Schluss siegt die Liebe (in hocherotischen Tanzszenen subtil reflektiert) und schenkt noch weiteren „kleinen Russen“ das Leben.
 
Mit federleichter Hand und pfiffigen Ideen hat Silvia Armbruster die Balance zwischen absoluter Werktreue und moderner Inszenierung geschaffen – und ein wunderbares spielfreudiges Ensemble zur Hochform auflaufen lassen. Dafür gab's lang anhaltenden Beifall und Bravo-Rufe vom Publikum.
 
Von Rosemarie Schwesinger - mit freundlicher Genehmigung der Allgäuer Zeitung, 29.10.2013 (Nr. 250)
 
   

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Zwischen Engel und Teufel
„Die Marquise von O…“ eröffnet Theaterring in Bad Kissingen

Bad Kissingen. Wie schon fast Tradition wurde auch der 29. Theaterring der Stadt Bad Kissingen mit einer Produktion der Theatergastspiele Kempf aus München/Grünwald eröffnet. Und wie meist kam die Truppe mit der Bearbeitung eines Textes aus dem klassischen Repertoire der deutschen Literatur. Und wie ebenfalls Tradition geriet die Präsentation dieses Textes nicht zur Feier des deutschen Kulturerbes, sondern Heinrich von Kleists Novelle ‚Die Marquise von O…‘ wurde von Regisseurin und Dramaturgin Silvia Armbruster zu einem völlig neuen, vielschichtigen Theaterabend umgestaltet. Sie unternahm es, die Grundthemen des nur etwa 25 Seiten langen Textes in ein für uns Heutige konzipiertes Seh- und Hörerlebnis umzuformen, indem sie zunächst einmal kräftige Bühnenmetaphern schuf. So wird die intakte bzw. gestörte Harmonie des Elternpaares von G. mit ihrer Tochter durchgängig als gemeinsames (mal zu dritt, mal alleine) Musizieren von Franz Schuberts Kunstlied ‚Du holde Kunst‘ versinnlicht, wird der aggressive, ohrenbetäubende Lärm des Krieges durch eine durch die dünne Tapetenwand in das bildungsbürgerliche Wohnzimmer einbrechende Schlagzeugbatterie körperlich erfahrbar, wird die Ausgesetztheit der von ihren Eltern aus dem Haus geworfenen Tochter durch deren Zuflucht in ein mickriges Wurfzelt verdeutlicht, ohne Anspruch auf Abbildung – und wir wissen schon, was sie meint.
 
Genau das, was der Film viel besser kann, das minutiöse Bebildern von Szenen, war Armbrusters Sache nicht, dafür zog sie alle Register aus unserer, aber auch aus Kleists Welt, um das zunächst einmal recht abstruse anmutende Geschehen um die ohne ihr Wissen um einen Beischlaf schwangere Witwe und zweifache Mutter von O… deutlich zu machen. Dabei ließ sie zum Vergnügen der Zuschauer auch ihrem Sinn für Humor freien Lauf, kommentierte szenisch so manche für uns in ihrer Exaltiertheit recht befremdlich wirkende Textstelle wie die Beschreibung der Versöhnung von Vater und Tochter: „… indessen dieser, auf dem Lehnstuhl sitzend, lange, heiße und lechzende Küsse, das große Auge voll glänzender Tränen, auf ihren Mund drückte: gerade wie ein Verliebter!“ oder den von Kleist lakonisch konstatierten Kindersegen beim Happy End:
„Eine ganze Reihe von jungen Russen folgte jetzt noch dem ersten…“, mit den von den Großeltern herbeigeschleppten Unmengen von Wickelkindern oder indem sie uns unsere Russlandklischees mit Puppe in der Puppe oder Wodkaflasche vor die Nase hält. Es geht ihr nicht um die Darstellung der ‚Holden Kunst‘ des Heinrich von Kleist im Sinne einer das Sprachkunstwerk erhöhenden pathetischen Feier, sondern um das Näherbringen des Geschehens als mitfühlbares Erleben (daher der sehr plausible und sinnstiftende Einsatz des Schlagzeugers und Schauspielers Sebastian Strehler) und dessen Auslotung in den Gemütern, Ängsten, Zweifeln der Charaktere, die in Sprech- und Reaktionsweise uns in dieser Aufführung ganz nahe waren, uns so Kleists alten Text nahe brachten.
 
Dass ein Zelebrieren ‚holder Kunst‘ der Gefahr von Langeweile für das Publikum selten entgeht, war wohl ein Schreckbild, dem Frau Armbruster mit viel Action und einem Feuerwerk von Ideen entgegenzuwirken vermochte. Doch dienten diese Exaltiertheiten, drastischen Bilder, die Durchbrechung der vierten Wand, hinter der sich der Zuschauer meist geschützt wähnt, durch die Marquise, die selbstgezogene Äpfel anbot, auch als Kontrastfolie für leisere Momente wie etwa bei der Erkenntnis der Mutter, dass sie ihrer Tochter Unrecht getan hat. Und nicht zuletzt machte Armbruster auch immer wieder deutlich, dass es sich bei der Novelle um ein episches Werk handelt, mit dem Rezitieren gemeinsam, häufig ironisch gesprochener Originalpassagen. Auch Kleists sehr ernsthafte Gedanken zum Leben außerhalb der Gesellschaft aus Briefstellen wurden sinnstiftend in die Collage integriert. So kam die Truppe denn also nicht mit einer banalen Dramatisierung des Textes, den dieser wegen seiner Kürze und relativen Dialogarmut sowieso kaum zugelassen hätte, sondern mit einem völlig neuen Gebilde, das in seiner Vielschichtigkeit alle Sinne, auch den für Humor, ansprach, das das Happy End als frech-drastische Slapstick-Coda von Orgasmen zwischen den beiden Liebenden und sorgfältiger Enkel-Sortierungsarbeit der Großeltern mit einem turbulenten Schlusspunkt enden ließ. Sebastian Strehler spielte nicht nur ausgezeichnet Schlagzeug, sondern auch durchaus plausibel den russischen Leutnant als ein bisschen ungestümen, ein bisschen feigen, aber eigentlich herzensguten Rohdiamanten. Ursula Berlinghof und Christian Kaiser gaben ihre Parts mit großer Spiellust, Spaß am komischen Detail, aber auch Intensität in der Darstellung der Kälte und Fühllosigkeit der gutsituierten Eltern, die ihre Tochter verstoßen, sobald sie sich nicht ihren Vorstellungen entsprechend benimmt, und ihrer Reue und Bestürzung, als sie sich als unschuldig erweist. Lisa Wildmann war eine faszinierende Marquise, die weit über den Horizont der Entstehungszeit der Novelle hinaus die Emanzipation einer Frau spielte, die zu sich selbst findet, ihren ganz eigenen, von der Gesellschaft und deren Einschätzung unabhängigen Wert erkennt, ihre Verletztheiten nicht runterschluckt, sondern auslebt, und die am Schluss in der Lage ist die Größe zu haben offen zuzugeben, dass die übersteigerte Illusion, die sie von ihrem russischen Leutnant hatte und ihm und ihrer Umgebung aufzwang, ein wesentlicher Grund war für die Verletzungen, die sie erfuhr.
 
Ein ungewöhnlich geistreicher, lebendiger, spannender Theaterabend, für die das Publikum die Truppe mit immer neuem Beifall, Bravos und rhythmischem Klatschen belohnte.
 
Von Gerhild Ahnert - Saale-Zeitung, 08.10.2013
 
   

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Großes Theater in der Stadthalle

Limburg. Anfangs sieht alles noch ganz friedlich aus: Vater, Mutter und ihre erwachsene Tochter machen im heimischen Wohnzimmer Hausmusik. Doch dann kracht es: Es ist Krieg. Langsam bohren sich große Waffenrohre unter düsendem Lärm durch die Tapete, bevor ein Podest mit einem Herrn am Schlagzeug zum Vorschein kommt. Er „musiziert“ den Krieg – eindrücklich dargestellt. Das heimelige und liebevoll inszenierte Bühnenbild hat Kratzer bekommen, die signalisieren: Eine schwere Zeit steht bevor rund um Krieg, die Auswirkungen, persönliche Probleme und Schwierigkeiten, die die Grundpfeiler eines Lebens ins Wanken bringen.
 
Dass Heinrich Kleists Stück „Die Marquise von O. . .“ keine leichte Kost ist, wussten spätestens nach dieser anfänglichen Szene auch diejenigen im großen Saal der Stadthalle, die den Inhalt nicht kannten. Lärm, Schreie, brutale Szenen, Missbrauch – es ist Krieg, mitten auf der Bühne.
 
Aber nicht nur das, sondern die Tochter des Hauses, die Marquise von O., ist auch noch schwanger – weiß aber nicht von wem, schließlich ist sie verwitwet.
Das Schauspiel nach der Novelle von Heinrich von Kleist, dramatisiert von Silvia Armbruster, welches die Kulturvereinigung in die Stadthalle holte, wurde nicht nur von den Schauspielern äußerst authentisch dargestellt, sondern kräftig von Musik unterstrichen.
Das Verhältnis von Kleist zur Musik sei ein besonderes gewesen, erfuhren die Gäste nach kurzer Zeit und nicht nur aus dem Programmheft. „Es ist ein Klassiker“, erklärte Gabriele Droste von der Kulturvereinigung und zeigte sich mit den Besucherzahlen zufrieden.
 
Neben Theaterfans hatten sich an diesem Abend auch auffällig viele junge Leute dazu entschlossen, sich dieses Stück anzusehen. Schließlich ist es ein Stück, das in der Oberstufe behandelt wird und abiturrelevant sein kann. „Ganz großes Theater“, beschreibt Stadthallenbesucherin Verena Schlegel diesen Theaterabend in Limburg. Sie zeigte sich nicht nur begeistert von der Umsetzung des Stücks und wie der Inhalt auf die Bühne gebracht wurde, sondern vor allem auch davon, dass es nur vier Leute waren, die diesen „schweren Stoff“ getragen haben: Lisa Wildmann als „Die Marquise“, Ursula Berlinghof als Frau von G., ihrem Vater, Christian Kaiser als Herrn G. und Vater der Marquise, sowie der russische Leutnant Sebastian Strehler zeigten ihr Können und wie gut sie in der Lage sind, diesen Inhalt zu transportieren.
 
Von Nadja Quirein - Neue Nassauische Presse, 09.10.2013
 
   

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